Echte Kerle
Pavol Breslik beweist beim Label Orfeo, weshalb er zu den momentan begehrtesten Mozart-Tenören gehört.
Die schon obligatorisch dauerhaften Sorgen, ob es sich bei Don Ottavio in ‘Don Giovanni’ um ein Weichei handeln könnte, sind vollkommen unnötig, wenn dieser spanische Edelmann von Pavol Breslik gesungen wird. Denn Breslik gelingt die elektrisierende Mischung aus großem Stilbewusstsein und authentisch heroischer Note. Sein Mozart-Gesang ist weit entfernt von zelebrierter Noblesse und der dauerhaften Demonstration von Legato und vokalem Ebenmaß. Er ist vielmehr gesund durchblutet und stets auf der Seite dramatischer Glaubwürdigkeit – natürlich bei makelloser technischer Beherrschung, lupenreiner Intonation und großer Agilität. All das sind Gründe, weshalb Pavol Breslik seit vielen Jahren zu den führenden Mozart-Tenören unserer Zeit gehört und es war mehr als Zeit, einige seiner Interpretationen auf einem Mozart-Album zu dokumentieren.
Dieser lang ersehnte Wunsch ist nun beim Label Orfeo in Erfüllung gegangen. Pavol Breslik wird dabei vom renommierten Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Patrick Lange begleitet. Die Aufnahmen entstanden bereits im März 2014 in München und an einem einzigen Zusatztermin ein Jahr später.
Enttäuschend kurzes Programm
Bevor aber die Lobeshymnen auf das Produkt hereinbrechen, sollte die Enttäuschung nicht verschwiegen sein, dass die vorliegende CD noch nicht einmal von einer einstündigen Spieldauer ist. Mit knapp 56 Minuten ist das Programm für eine Vollpreis-CD deutlich zu kurz geraten, zumal man einige Arien schmerzlich vermisst. Wenn schon (vermutlich wohlüberlegte und gute) Gründe gegen die Aufnahme für Breslik neuer Mozart-Partien wie Tito oder Mitridate sprechen, dann wäre zumindest für die zweite Ferrando-Arie aus ‘Così fan tutte’ noch Platz gewesen, die mit ihrer eruptiven Emotionalität wunderbar ins Programm gepasst hätte, oder aber noch eine weitere Idomeneo-Arie. Ideen gäbe es genug. So wirkt die extreme Reduktion eher wie ein Sparzwang oder eine durch vordergründige Programmatik verdeckte Unlust, mit nötigem Mehraufwand dem Käufer für sein Geld auch eine einigermaßen volle CD anzubieten.
Zartes Gefühl unter rauer Schale
Wie dem auch sei: Mit den eingespielten Nummern kann Pavol Breslik voll und ganz überzeugen, einen Ausfall oder einen hörbaren Kompromiss gibt es nicht. Bis auf den Idomeneo hat Breslik all die hier versammelten Charaktere auf der Bühne gesungen, und das hört man. Sein Belmonte ist bei aller vokalen Zärtlichkeit auch ein ‚echter‘ Kerl, der entschlossen in die Fremde zieht, um seine Geliebte zu finden und sie zu retten. In der zweiten Arie ‘Konstanze, dich wiederzusehen’ wird er von seinen Gefühlen übermannt, sein Ziel erreicht zu haben. Belmontes Schwanken zwischen den Extremen macht Pavol Breslik auf unvergleichliche Art akustisch erfahrbar. Hier frönt kein ohnehin zart besaiteter Adeliger seiner wohlbekannten Schwäche, nein, hier bricht unter der etwas rauen, männlichen Schale ein zartes Gefühl hervor, das den Protagonisten selbst staunen und anrührende Unsicherheit entstehen lässt. Und wenn Breslik mit einer fulminanten Baumeister-Arie auf Konstanzes Stärke baut, dann möchte man ihm auch vor dem CD-Player zujubeln.
Die beiden Arien des Don Ottavio könnten unterschiedlicher und zugleich effektvoller kaum sein: ein introvertiertes, eher ‚gedachtes‘ ‘Dalla sua pace‘ und dann ‘Il mio tesoro’ mit Feuer und Temperament und furchtlosen Koloraturen. Auch Idomeneos ‘Fuor del mar’ meistert der Tenor mit Bravour und empfiehlt sich nachdrücklich für diese Partie, nachdem er bereits als Idamante in München Triumphe feiern konnte. Dessen Arie ‘Non ho colpa’ ist auch der Auftakt zu diesem neuen Mozart-Album, dessen Abschluss die große Konzertarie ‘Misero! O sogno! – Aura, che intorno spiri’ bildet.
Den Höhepunkt der CD stellen die drei Ausschnitte aus der ‘Zauberflöte’ dar, die Bresliks wohl berühmteste Mozart-Rolle repräsentieren. Um einen ähnlich starken Tamino mit so viel heldischem Strahl und lyrischer Qualität zu hören, muss man in der Plattengeschichte weit zurückgreifen. Da mag mancher Rollenvertreter vielleicht mehr Schmelz in der Stimme gehabt haben, aber eben nicht den kraftvollen Kern, das klingende Testosteron und die erfrischende Jugendlichkeit bei gleichzeitiger technischer Souveränität und Leidenschaft. Zu diesem Ausnahme-Tamino gesellt sich hier folglich auch ein weiterer Altmeister: Für die Sprecher-Szene konnte das Label noch einmal José van Dam verpflichten, der dem Sprecher eine Extraportion Würde verleiht. Der Mitte Siebzigjährige ist erstaunlich gut bei Stimme, wenn auch seine Altersweisheit durchaus akustisch wahrnehmbar ist.
Am Pult des Münchner Rundfunkorchesters schlägt Patrick Lange vornehmlich recht zügige Tempi an. Das wirkt zu Beginn der CD durchaus positiv, weil die angestrebte Lebendigkeit hervorragend zu Bresliks unprätentiöser Herangehensweise passt. Im Laufe des Albums tritt beim Hörer aber leicht Ermüdung ein, weil der Eindruck eines flotten Einheitstempos entsteht. Für einen lebendigen und abwechslungsreichen Orchesterklang fehlen aber weitere agogische Differenzierungen und Kontraste. Das Dirigat ist wohltuend unpathetisch, aber leider auch ungeduldig und recht eintönig. Das Münchner Rundfunkorchester spielt tadellos, eine wirkliche Duftmarke wie der Solist können Klangkörper und Dirigent aber nicht setzen.
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